VERSCHOBEN: Die Hoffnung der Jugend

Theaterproduktion nach Jura Soyfer 2020: „HOFFNUNG DER JUGEND“
Ein Kommentar zur Gegenwart 

Szenen-Songs & Dialoge mit dem Publikum nach der Romanfragment
So Starb eine Partei von Jura Soyfer (1934)

Zwischen 2006 – 2016 präsentierte die FLEISCHEREI sechs dramatische Versionen des berühmten Romanfragments von Jura Soyfer „SO STARB EINE PARTEI“ (1934) mit verschiedenen Schwerpunkten, die quer durch Wien in Theatern, Amtshäusern, VHS und Schulen gespielt wurden.

Die Soyfer Produktion 2020 ist keine Neufassung früherer Projekte, die primär historisierend rezipiert wurden – sprechend über eine lang vergangene Epoche sozial politischer Kämpfe im legendären Roten Wien. Das sehen wir im Jahr 2020 anders, der Text des früh im KZ Buchenwald zu Tode gebrachten Dramatikers und Visionärs Jura Soyfer erscheint uns heute zeitgemäßer denn je. Die neu konzipierte theatrale Studie liest den Text als Beitrag zur aktuellen Situation, bezieht neue Figuren, DarstellerInnen, Szenen, moderne Kostüme und Publikums-Interaktionen – ua. Theater der Unterdrückten Szenen – sowie Dialoge des Ensembles zum Stand der Österreichischen Demokratie geben. Das Projekt mutiert zum Theater Tribunal, einem performativ-politischen Diskurs zum Zeitgeschehen im Rahmen des vom Kollektiv FLEISCHEREI lancierten COMMUNITY PERFORMANCE CENTER, das mit SPRUNG:REIHE (Jahresprojekts 2020) und einer experimentellen Serie von Theater Kursen, lectures und ad hoc Produktionen im brick5 seinen Ausgang nimmt.

Die Produktion ist gedacht als Beitrag zur bevorstehenden Wien-Wahl und entsteht aus Anlass der ersten englisch-sprachigen Veröffentlichung von Otto Bauers Schrift „Die Österreichische Revolution“ (Walter Baier), die im Sommer erscheint.

 

Hoffnung der Jugend nach Jura Soyfers zentralem Text „So starb eine Partei“ ist eine theatrale Studie und zieht Figuren, Darsteller*innen, Szenen, Kostüme und Publikums-Interaktionen in Dialoge des Ensembles zum Stand der österreichischen Demokratie. Das Projekt wird zum Theatertribunal, einem performativ-politischen Diskurs zum Zeitgeschehen.

Der Roman

Nach dem Vorspiel, das die Entwicklung von 1919 bis 1932 skizziert, konzentriert sich die Handlung auf das letzte Jahr der 1. Republik.  Die ersten 6 Kapitel spielen in den ersten 3 Monaten des Jahres 1933, die das Schicksal der Sozialdemokratie besiegelten. Der 2. Teil setzt erst nach einer beträchtlichen Lücke ein und behandelt Vorgänge im Sommer und Herbst 1933 und schließlich im Jänner 1934. Ungefähr 14 Tage vor dem Februar-Aufstand bricht das Dokument abrupt ab.  Jura Soyfer verfasste seinen realistisch-satirischen Zeitroman als Testament der wachsenden sozial-politischen Spannungen des Roten Wien, sukzessive macht er so Zeitgeschichte als komplexes Drama erfahrbar.  Über persönliche Schicksale schildert er die ökonomische Krise, die Stagnation der Partei, die Vereinsamung der Funktionäre, die organisatorische Erstarrung, die stete Rechtsentwicklung und die Verharmlosung der faschistischen Gefahren, die allesamt zur Katastrophe führten.

Dramatische Fassung 2020

Es wird weder versucht, ein realistisches Bild der Zeit zu entwerfen, noch die „Bewegung der Massen“ zu inszenieren oder „Revolution“ auf dem Theater zu spielen.  Das Szenario folgt dem Brechtschen Duktus von kristallinen, oft kabarettistisch überzeichneten en Dialogen führender Persönlichkeiten der Partei und entwirft das Panorama eines schleichenden Verfalls.  Keine Helden, sondern Protoypen treten auf, sie formen einen Fundus humoristischer Personalien vom Zuschnitt eines „Herrn Karl“. Das Scheitern des Roten Wien entschlüsselt sich über detailgenaue Schilderungen des kollektiven Fehlverhaltens der Funktionärsklasse, die mit innerparteilichen Konflikten kämpfen und deren politische Illusionen den „Tod der Partei“ besiegelten.

Als theatrales Tribunal setzt Eva Brenner die Neufassung mit Mitteln der politischen Reportage, von Video/Film, Live Musik, Szenen des Theaters der Unterdrückten und Dialogen mit AkteurInnen und Publikum in Szene. Auf konventionelle „Theatralität“ wird verzichtet; stattdessen eröffnet die Einladung einer Erzählerin-Sängerin und einer Malerin, die das Geschehen mit Pinsel und Farbe den Dialog und Partizipation am „Arbeiterchor“ mit Liedern aus der Zeit von Jura Soyfer.  Im offenen, leeren Raum trifft Publikum und Ensemble zusammen, aus ihrer Mitte entsteht ein Arbeiterlied, die ersten Figuren lösen sich aus der Menge, treten in einen Spot, führen ein in die Konflikte des sich sukzessive entfaltenden „Dramas“.  Direkte Fragen der Erzählerin ans Publikum eröffnene einen zweiten Erzählstrang von stenografisch kurzen Szenen, die von Ensemble entwickelt zur heutigen Lage der Partei Stellung nehmen: Was hat sich seit den 30er Jahren verändert, wie wird heute mit ähnlichen Problemen umgegangen, wie würden die Anwesenden die Konflikte besser lösen?  Die Performance, an der hier alle Versammelten – Akteure, Amateur-Spieler und Publikum – gleichermaßen teilnehmen, lädt ein zum interaktiven Erlebnis und eröffnet eine Plattform für direkte Kommunikation in der Community.